Freitag, 1. November 2013

Verschenken ist besser als verleihen

Als gescheitert betrachtet ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des Max Planck Institutes für Gesellschaftsforschung in Köln die Versuche, Entwicklung mittels Mikrokrediten anzustoßen. Tendenziell verschlimmerten Mikrokredite die Ungleichheit gar. Hat tip NDS.

Schlagzeilen macht dagegen eine Studie über direkte Einkommenstransfers (aktualisierte Fassung von 2016). Hat tip Chris Blattman. Man stelle sich vor, dass die Rezipienten solcher Transfers en famille in Afrika leben und so arm sind, dass das Geld nicht einmal für ein Wellblechdach reicht. Dann schenkt jemand der Dame des Hauses ein Handy - mit freiem Zugriff auf ein Bankkonto, dass 1.000 US-Dollar "schwer" ist. Was macht die Familie mit solch einem warmen Regen?


Nun, das Geld wird weder versoffen, noch sonstwie grob fahrlässig verschwendet. Sogar der Economist (unbedingt lesen!) muss das zugeben:
(...) giving money away pulls people out of poverty, with or without conditions. Recipients of unconditional cash do not blow it on booze and brothels, as some feared. Households can absorb a surprising amount of cash and put it to good use. But conditional cash transfers still seem to work better when the poor face an array of problems beyond just a shortage of capital.
Familie Anoche in Kenia hat zunächst ein neues Dach gekauf und ein paar Hühner angeschafft. Mit denen erwirtschaftet die Familie nun umgerechnet 90 US-Dollar im Monat - ein hübsches Sümmchen. Nicht immer wird das geld so sinnvoll verwendet aber die oben verlinkte Untersuchung weist darauf hin, dass die Ernährung der Kinder in den begünstigten Haushalten deutlich verbessert wurde. Auch Vieh wurde angeschafft. Allerdings sind die Zuwendungen erst ein Jahr her - da sind solche Erfolge wohl zu erwarten. Doch auch in Uganda und in Vietnam wurden gute Erfahrungen mit ähnlichen Programmen gesammelt.

Und wer verschenkt so viel Geld? Die Leute von Give Directly machen so etwas - derzeit allerdings nur in Kenia. Besonders nett: Unter "values" (Werte) findet sich bei auf der Website der NGO unter dem Stichwort "respect"folgender Hinweis:
Industry standard [gemeint ist die entwicklungspolitische Geber-Szene]: Empower experts to decide what is best for the poor based on an assessment of needs or on personal ideology.
Our standard: Empower the poor to set their own priorities.
Als Service hier ein kleiner Überblick über staatliche Cash Transfer Programme - mit und ohne Vorbedingungen - die aus "Just Give Money to the Poor" (Stand 2010) entnommen wurden. Seit den 1990er Jahren gibt eine Welle von unterschiedlichsten Cash-Transfer-Programmen. Heute verfügen mindestens 45 Länder im globalen Süden über Einkommensbeihilfen und diese erreichten schon vor 2010 zusammen genommen etwa 110 Millionen Familien. Das sind über den Daumen gepeilt eine halbe Milliarde Menschen.Viele dieser Prgramme werden von den geberländern unterstützt.
  • Südafrika "child support program": 8,5 Mio. (55 %) Kinder unter 15 Jahren werden abhängig vom Einkommen ihrer Eltern mit umgerechnet 27 US-Dollar im Monat unterstützt. Es existieren keine Auflagen, aber die Berechtigung für den Bezug wird geprüft. Südafrika wendet 12 % seines Haushaltes (3,5 % des BNE) für Sozialtransfers auf.
  • Brasilien "bolsa família" 11,6 Mio. Familien (50 Mio. Menschen; 26% der Bevölkerung) erhalten staatliche Zuwendungen, die gestaffelt und abhängig vom Familieneinkommen ausgegeben werden und 10 oder 15 US-Dollar pro Kind ausmachen - für bis zu fünf Kinder gibt es maximal umgerechnet 91 US-Dollar.
    Zudem gibt es Sozialtransfers für Alte (1,2Mio. Menschen), die weniger als ein Viertel des Mindestlohnes beträgt und für Behinderte (1,3 Mio. Menschen) sowie für Menschen, die im informellen Sektor oder auf dem Land gearbeitet und keinen Rentenanspruch erworben haben (insgesamt 5,4 Mio. Menschen). Ein Durchschnittshaushalt dieser Zielgruppen umfasst drei Personen, so dass von diesen Mitteln 24 Mio. Menschen profitieren.
    Insgesamt wendet Brasilien 1,5 % des BNE für Sozialtransfers auf.
  • Mexiko "oportunidades" 5 Mio. Familien (24 Mio. Menschen das sind 22 % der Bevölkerung) erhalten umgerechnet durchschnittlich 38 US-Dollar im Monat, was 27 % des Einkommens der ländlichen und 20 % der städtischen Armen ausmacht. Das Maximum liegt bei 153 US-Dollar im Monat. Es gibt keine Auflagen und Mexiko wendet 0,3 Prozent seines BNE für das Programm auf.
  • Indien "National Rural Employment Guarantee Scheme (NREGS)" seit 2004 landesweit: max. 100 Tage Arbeitslohn mit je 1,25 bis 1,7 US-Dollar pro Haushalt und Tag im Jahr. 44 Mio. Haushalte - etwa 200 Mio. Menschen. Ausgaben umgerechnet etwa 4 Mrd. US-Dollar pro Jahr entsprechend etwa 0,3 % des BNE
  • China "Di Bao" seit 1999; 7,4 Mio. Familien (22,3 Mio. Menschen) nur für "registrierte" StadtbewohnerInnen (6% aller StädterInnen; nur ein Viertel der städtischen Armen) umgerechnet 28 US-Dollar pro Monat. Kosten entsprechen etwa 0,1 % des BNE; keine weiteren Bedingungen.  Zusätzlich gibt es Programme zu zur Unterstützung in Krankheitsfällen.
    Ab August 2009 soll eine Grundrente für LandbewohnerInnen über 60 Jahren von umgerechnet ebenfalls 28 US-Dollar eingeführt werden.
  • Indonesien 19 Mio. arme Familien (40 Prozent der Bevölkerung) bekamen 2005/2006 für 12 Monate umgerechnet 8 US-Dollar pro Monat. das Programm wurde 2008/2009 für 9 Monate wieder aufgelegt. Kosten etwa 0,5 % des BNE.
    Seit Ende 2009 gibt es mehr Geld für weniger Familien - allerdings unter Auflagen. Es bekommen 6,5 Mio. Familien 6 Jahre lang umgerechnet zwischen 4 und 15 US-Dollar (je nach Familiengröße) monatlich. Bedingung ist mindestens 1 Kind im Haushalt; Schulbesuch der Kinder. das Geld wird an den weiblichen Haushaltsvorstand ausgezahlt.
Kleinere Programme:
  • Armenien unterstützt 17% der Bevölkerung (141.000 Haushalte in 2003) mit umgerechnet 15 US-Dollar am Tag. Kosten derzeit 0,9% des BNE. 1999 hatte das Programm noch über 200.000 Familien erreicht.
  • Äthiopien hat ein cash for work Programm aufgelegt, das dem indischen ähnelt. Es soll 5 Jahre laufen und in 2008 mehr al 7 Mio. Menschen erreichte. Die Kosten lagen bei 2% des BNE, was es - mit Ausnahme von Südafrika - zum größten im subsaharischen Afrika macht.  Es gibt umgerechnet 1 US-Dollar Tageslohn an 5 Tagen im Monat in den Monaten Januar bis Juni, wenn in der Landwirtschaft nicht viel Arbeit anfällt.
  • Bangladesch teilt an 5,3 PrimarschülerInnen umgerechnet 1 US-Dollar im Monat aus, was etzwa 0,2% des BNE ausmacht. Zudem erhalten etwa 1 Mio. Alte (vor allem Witwen) umgerechnet 3,75 US-Dollar im Monat.
  • Bolivien bietet eine Grundrente von umgerechnet 250 US-Dollar für alle über 60 Jahre und 325 US-Dollar für die, die gar keine anderen Rentenbezüge haben.
  • Chile verfügt über zwei Programme. Zum einen erhalten arme Haushalte (1,2 Mio. Menschen; 7% der Bevölkerung) einen Zuschuss von umgerechnet 10 US-Dollar im Monat. Darüber hinaus erhalten die 5 % der ärmsten Familien für einen Zeitraum von 18 Monaten zusätzliche umgerechnet 11 US-Dollar pro Monat. Die Kosten werden mit 0,1 % des BNE angegeben.
  • Ecuador verfügt seit 2003 über ein Programm, das 1 Mio. Haushalte in 2006 erreichte, (5 Mio. Menschen) - bei 0,6 % Kostenanteil am BNE.
  • El Salvador Das Programm "Red Solidaria" schüttet umgerechnet bis zu 20 US-Dollar pro Monat für 100.000 extrem arme Haushalte aus [Deutschland fördert mit 23,9 Mio. Euro].
  • Ghana: Das "Livelihood Empowerment Against Poverty (LEAP)" erreichte 35.000 Familien in 2009 bei Auszahlungen von umgerechnet 6 bis 10 US-Dollar pro Monat. Bis 2012 sollen es 165.000 Haushalte werden, was dann 1 % des BNE ausmachen würde.
  • Honduras: Umgerechnet 113 US-Dollar pro Jahr für 240.000 Haushalte (15% der Bevölkerung)- Kosten entsprechen 0,3% des BNE.
  • Jamaika: 300.000 Menschen in 2008 - 12 % der Bevölkerung, werden mit umgerechnet 7 - 12 US-Dollar pro Person und Mionat unterstützt. Kosten von 0,2 % des BNE.
  • Kambodscha unterhält konditionierte Programme für arme Schulmädchen und Kinder aus ethnischen Minderheiten, das etwa 75.000 Kinder erreicht.
  • Kirgisistan unterstützt etwa eine halbe Million Kinder (10% der Bevölkerung) mittels zweier Programme die 0,6% des BNE kosten.
  • In Kolumbien erhalten 1,7 Mio. Haushalte (15% der Bevölkerung) umgerechnet zwischen 8 und 33 US-Dollar pro Kind - abhängig vom Kindesalter. Kosten: 0,3% des BNE.
  • Lesotho verfügt über eine Basisabsicherung für Alte, die1,4% des BNE kostet.
  • Malawi hat einige Pilotprogramme gestartet, die 24.000 Familien in 2009 erreichten - geplant ist ein Umfang von 273.000 Haushalten in 2013, die im Durchschnitt 14 US-Dollar im Monat erhalten sollen, was dann etwa 1 % de BNE kosten wird.
  • In der Mongolei gibt es seit 2007 umgerechnet 117 US-Dollar pro Jahr für jedes Kind. das Programm wird aus den Einkünften bezahlt, die die Ausbeutung von Bodenschätzen abwerfen und kostet knapp 4 % de BNE.
  • In Nicaragua gibt es umgerechnet 19 US-Dollar für ausgewählte arme Familien.
  • Pakistan unterstützt 450.000 Schulmädchen mit umgerechnet je 3 US-Dollar im Monat.
    Zudem gibt es ein eine Nahrungsmittelbeihilfe für 1,5 Mio. Haushalte (6% der Bevölkerung) in Höhe von umgerechnet 36 US-Dollar jährlich bei Kosten von 0.04% des BNE.
  • Panama "Red de Oportunidades" für 50.000 Haushalte (15% der Bevölkerung) mit umgerechnet 35 US-Dollar; kostet 0,4% des BNE.
  • Paraguay Zwei Programme, mittels derer 22.000 Haushalte erreicht werden. es gibt umgerechnet 18- 36 US-Dollar monatlich was 0,1% des BNE kostet.
  • In Peru erhielten 125.000 Haushalte umgerechnet je 33 US-Dollar in 2006. Das Programm soll einmal 1,5 Mio. Haushalte (28% der Bevölkerung) erreichen.
  • Auf den Philippinen erhielten 380.000 Haushalte umgerechnet je 11 US-Dollar plus 7 US-Dollar pro Kind unter drei Jahren. Bedingungen: Besuch von Schulen und Gesundheitsstationen. Die Ausgaben entsprechen 0,1% des BNE.
  • In Sambia bekommen arme Familien umgerechnet 6 US-Dollar pro Monat.
  • Weitere - meist kleinere - Programme gibt es in Burkina Faso, Kenia, Nigeria und Tansania, Venezuela, Namibia und Kuba.

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