Dienstag, 3. November 2015

Agrarhandel zur nachhaltigen Ernährungssicherung?- Teil 1

- eine Studie im Auftrag der Welthungerhilfe.

Ihr/Euer ergebenster MediaWatch-Redakteur hat sich für die Welthungerhilfe letztes Jahr lange mit Fragen des Weltagrarhandels auseinandergesetzt. Herausgekommen ist eine Handreichung, die eine ganze Reihe Grundlagen aufarbeitet - sowohl was die Empirie, als auch was die politökonomische Seite betrifft. Da mischt sich Bekanntes bunt mit Überraschungen. In den nächsten Wochen werden wir Auszüge daraus veröffentlichen und abschließend auch das ganze Papier zur Verfügung (und Diskussion) stellen.

Ausgespart wurden lediglich die Aspekte der Finanzialisierung des Handels mit Nahrungsmitteln (aka Spekulation) und der Einfluss des Landgrabbing.


Hier also Teil 1: Die nackten Zahlen

Der Welthandel mit Nahrungsmitteln belief sich 2012 auf rund 1.385 Mrd., also annähernd 1,4 Billionen US-Dollar. 2002 waren es noch knapp 471 Mrd. US-Dollar gewesen. Zu diesem Wert muss noch der Welthandel mit Agrarrohstoffen  addiert werden, der 2012 etwas mehr als 281 Mrd. US-Dollar ausmachte und 2002 nur circa 115,3 Mrd. US-Dollar betragen hatte.  Diesen Werten stand ein landwirtschaftlicher Produktionsumfang von etwas mehr als drei Prozent des Welt-Bruttosozialprodukts gegenüber.  Das sind – überschlägig berechnet – etwa 2.173 Mrd. US-Dollar. Der Anteil des Agrarhandels – inklusive Agrarrohstoffen – am Welthandel liegt damit recht stabil bei neun Prozent.
Umfang und Bedeutung des Süd-Süd-Handels
2012 erreichte der Süd-Süd-Handel insgesamt 4.700 Mrd. US-Dollar oder anders ausgedrückt 4,7 Billionen US-Dollar. 2011 hatte die Summe dieser ökonomischen Aktivitäten bei etwa vier Billionen US-Dollar gelegen. Damit konsolidiert sich der Süd-Süd-Handel derzeit auf hohem Niveau und macht nun rund ein Viertel des Welthandels aus. 2001 waren es erst 13 Prozent gewesen. Die gesamten Ausfuhren des globalen Südens (einschließlich Schwellenländern) belaufen sich momentan auf etwa 45 Prozent des Welthandels.  Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Handelsvolumina entwickeln sich also in etwa parallel: Seit 2009 erreichten 150 Entwicklungs- und Schwellenländer (in Kaufkraftparitäten gemessen und inklusive aller erdölexportierenden Staaten) eine etwas höhere Wirtschaftsleistung als 34 entwickelte Länder.

Gleichzeitig verfestigt sich ein bedeutsamer Trend, der seit 2008/2009 zu beobachten ist: Seitdem treiben die Entwicklungsländer untereinander mehr Handel als mit dem Norden. Das stetige Wachstum des Süd-Süd-Handels erstreckt sich über alle Regionen und betrug zuletzt durchschnittlich 16 Prozent jährlich. Und dieser Handel hat sich nach der Finanzkrise (2008) schneller erholt als der Nord-Süd-Handel. Bereits 2010 übertraf der Süd-Süd-Handel die Volumina, die vor dieser Krise erreicht worden waren.

Doch sind die Süd-Süd-Handelsaktivitäten äußerst ungleich verteilt: Die Entwicklungs- und Schwellenländer in Asien bestreiten etwa drei Viertel davon. Das entspricht einem Geldwert von etwa 3,5 Billionen US-Dollar. Afrika südlich der Sahara konnte 2011 dagegen nur vier Prozent des Süd-Süd-Handels auf sich vereinen, Lateinamerika und die Karibik einerseits sowie die Länder des Mittleren Ostens und Nordafrikas andererseits erreichen etwa je zehn Prozent.

Der Süd-Süd-Agrarhandel
Der Anteil, den der Austausch landwirtschaftlicher Produkte am Süd-Süd-Handel ausmacht, schwankt seit Jahren zwischen sieben und neun Prozent, ein Wert, der in etwa dem Anteil des Agrarhandels am gesamten Welthandel entspricht. Der Süd-Süd-Agrarhandel beläuft sich derzeit auf über 300 Mrd. US-Dollar.

Allerdings können die Entwicklungs- und Schwellenländer handelspolitisch noch aufholen: Berechnungen der Asiatischen Entwicklungsbank zeigen, dass der Zollsatz im Süd-Süd-Handel derzeit durchschnittlich etwa 6,1 Prozent des Warenwertes beträgt. Das ist fast 2,5-mal so viel wie die Zölle, die im Warenaustausch mit den Industrieländern fällig werden. Bei deren Geschäften wird ein durchschnittlicher Zollsatz von nur 2,5 Prozent fällig.

Die Bedeutung der BRICS-Länder im Süd-Süd-Handel
Die BRICS-Länder (Brasilien, China, Indien, Russland und Südafrika) bestreiten wesentliche Teile des Süd-Süd-Handels. 2011 belief sich der Anteil des Intra-BRICS-Handels auf knapp 19 Prozent der gesamten Umsätze im Süd-Süd-Handel – etwa 750 Mio. US-Dollar. Vor allem China profitiert stark: Sein Handel mit den anderen BRICS-Staaten belief sich 2011 auf über 300 Mrd. US-Dollar, etwa 40 Prozent des gesamten Intra-BRICS-Handels. China ist mittlerweile zum größten Handelspartner für Brasilien, Russland und Südafrika und zum zweitgrößten für Indien avanciert.

Die Bedeutung der BRICS im Süd-Süd-Handel bemisst sich darüber hinaus nach dem Umfang ihrer Handelsaktivitäten mit Nicht-BRICS-Entwicklungs- oder Schwellenländern. Chinas Exporte in diese Ländergruppe beliefen sich insgesamt auf etwa 670 Mrd. US-Dollar. Gut untersucht sind die Handelsbeziehungen zwischen den BRICS und Afrika: Zwischen 2001 und 2011 stiegen die Handelsaktivitäten zwischen den BRICS und dem Kontinent um mehr als das Elffache von 22,9 auf 267,9 Mrd. US-Dollar. Dabei kletterten Chinas Exporte nach Afrika von 10,8 Mrd. auf 166 Mrd. US-Dollar, was 62 Prozent des gesamten BRICS-Handels mit Afrika ausmachte.

Im selben Zeitraum wuchs der indische Afrikahandel von 5,3 auf 63,1 Mrd. US-Dollar – etwa 23,6 Prozent aller BRICS-Exporte nach Afrika. Brasilien schließlich konnte seinen Handel mit afrikanischen Entwicklungsländern in diesen zehn Jahren von 4 auf 28 Mrd. US-Dollar immerhin noch versiebenfachen. Insgesamt wuchs der Süd-Süd-Handel in und mit Afrika zwar schneller als in Asien oder Amerika oder Asien – startete allerdings von einem sehr niedrigen Niveau aus.

Unterschiede zwischen Nord-Süd- und Süd-Nord-Handel gemessen als wertmäßige Anteile
(in Prozent) einzelner Regionen am Welthandel mit verschiedenen Produktgruppen 2012

Afrika, Amerika: nur Entwicklungsländer; Asien: nur Entwicklungsländer in Süd-, Südost- und Ostasien (IL = Industrieländer;
EL = Entwicklungsländer). Quelle: UNCTAD 2013c: UNCTAD Handbook of Statistics, S. 82–104.
Auffällig ist, dass die Entwicklungsländer vor allem fossile Energieträger an die Industrienationen verkaufen. Allerdings zeigt die Tabelle auch, dass asiatische Entwicklungsländer wertmäßig mittlerweile mehr Fertigprodukte in die Industrieländer verkaufen (84,3 Prozent), als sie von ihnen beziehen (69,2 Prozent).

Demnach ist die Nord-Süd-Arbeitsteilung „Fertigprodukte gegen Rohstoffe“ nicht mehr so uneingeschränkt gültig wie noch vor wenigen Jahren. Dennoch bleibt sie in ihren Grundzü-gen erhalten. Das gilt insbesondere für die Lieferung fossiler Energieträger aus den Entwicklungsländern Afrikas und Amerikas in die Industrieländer und für die Lieferung von Nahrungsmitteln aus Lateinamerika in den Norden.

Der Anteil der entwickelten Volkswirtschaften am Welthandel mit Agrarprodukten nimmt langsam ab, weil die wirtschaftlichen Aktivitäten vor allem der Schwellenländer auch in diesem Sektor an Bedeutung gewinnen. Ein Blick auf die Entwicklung des Handels der OECD-Länder zeigt diesen Trend bei fast allen wichtigen Produktgruppen außer bei Pflanzen- und Fischölen, Schweine- und Schaffleisch sowie Milchpulver. Scharfe – anteilsmäßige – Rückgänge im Bereich der OECD-Exporte waren bei Zucker zu verzeichnen (> –30 Prozent) sowie bei Futtergetreide (> –20 Prozent). Vereinfacht lässt sich festhalten, dass die Industrienationen bei Weizen, Futtergetreide und Ölsaaten die weltweiten Exporte dominieren, während die – allerdings viel zahlreicheren – Entwicklungs- und Schwellenländer bei Reis, Sojabohnen, Pflanzenölen und Zucker vorne liegen.  

Weiter zu Teil 2.

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