Mittwoch, 8. März 2017

Bevölkerungsentwicklung und Emanzipation

Immer wieder geistert die 'Überbevölkerung' wie ein malthusscher Wiedergänger durch die Hirne der Menschen und durch die Medienlandschaft. Es ist Zeit, diesem Thema einen grundsätzlichen Beitrag zu widmen, in dem auch deutlich wird, dass die Herren der Schöpfung endlich ihre Versuche aufgeben müssen, die Bedingungen der Fortpflanzung diktieren zu wollen.

Warum kriegen Menschen viele Kinder - oder warum haben sie das zumindest die letzten 200.000 Jahre so gehalten? Wenn von zehn Kindern sechs bis neun sterben und wenn die Gefahr besonders hoch ist, dass die Mütter bei der Geburt ebenfalls sterben, macht es Sinn, so viele Kinder so schnell wie möglich in die Welt zu setzen. Unter vormodernen Bedingungen ist eine hohe Kinderzahl also ein überaus rationales Verhalten. (Als wenig stichhaltig hat sich hingegen das alte Argument erwiesen, dass viele Kinder nötig seien, weil diese in traditionalen Gesellschaften ihre Eltern später mitversorgen. Denn das "Risiko", so alt zu werden, dass man nicht mehr arbeiten kann, war vor der Entwicklung des modernen Gesundheitswesens doch verschwindend gering.) Als Beispiel für eine solche "vormoderne" Alterspyramide kann man etwa Niger anführen (oder Mali, Mosambik, Malawi und andere).
Wenn sich nun die Situation ändert, und von zehn Kindern ziemlich plötzlich auf einmal neun oder zehn überleben, beginnt die Bevölkerung natürlich zu wachsen - umso schneller, als die Menschen gleichzeitig die Chance bekommen, länger gesund zu bleiben und älter zu werden. Erst allmähIich stellen sich die Leute auf die neue Situation ein. In Europa hat diese als "demografischer Übergang" bezeichnete Periode etwa von 1840 bis 1980 gedauert. Die anderen Weltregionen ziehen nun nach und stellen somit die ursprüngliche Bevölkerungsverteilung mehr oder weniger wieder her.

Richtig ist, dass es nach wie vor Länder gibt, in denen die Bevölkerung weiterhin zügig oder auch schnell wächst. Aber die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer - befinden sich mittlerweile mitten im demografischen Übergang, in dem auch die Geburtenraten fallen oder bereits gefallen sind - und das zum Teil rasant. Die neoliberalen Gralshüter unken schon rum (2). Im aktuellen Stadium wächst die Gesamtbevölkerung vor allem aufgrund eines sekundären - sozusagen "mathematischen" - Effektes weiter: Aus der ersten Wachstumsphase bekommen nun sehr viel mehr Menschen ihrerseits Kinder, was die Gesamtbevölkerung weiter wachsen lässt - auch wenn jedes Paar nur ein bis drei Kinder zeugt.

Nun kennt die Geschichte des 20. Jahrhunderts eine ganze Reihe Versuche, das Bevölkerungswachstum einzudämmen. Am bekanntesten dürfte die chinesische Ein-Kind-Politik sein. Wesentlich weiter verbreitet waren Zwangssterilisationen, wie die Programme in Indien, (2).Der werden übrigens in entschärfter Form bis heute fortgeführt (2). Doch solche Programme gab es auch in anderen Ländern - teilweise mit Unterstützung westlicher Geberorgansiationen.

Klar ist: Bei derart rabiaten Methoden der Bevölkerungskontrolle handelt es sich um schwere Menschenrechtsverletzungen bei denen nicht nur das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung verletzt wird, sondern auch das Recht auf Sexuelle und Reproduktive Gesundheit. Denn eine Familie zu gründen und selber zu bestimmen, wie groß die werden soll, ist spätestens seit der Weltbevölkerungskonferenz von Kairo 1994 weltweit anerkanntes Menschenrecht. Damit alle dieses Recht wahrnehmen können, müssen allerdings einige Voraussetzungen erfüllt sein:
  1. Alle Menschen brauchen Zugang zu hochwertigen und umfassenden Informationen und Dienstleistungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit.
  2. Allen jungen Menschen ist eine umfassende Sexualaufklärung zu bieten.
  3. Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist zu eliminieren und alle Opfer sind mit medizinischer, psychologischer und rechtlicher Hilfe zu unterstützen.
'Aber was hat denn das mit dem Bevölkerungswachstum zu tun?', werden alle LeserInnen einwenden, die bis hierher gefolgt sind, sich aber zum Beispiel Sorgen um die planetarischen Grenzen machen.

Sehr viel.

Erstens sind die oben genannten Bedingungen nicht erfüllt, was zu millionenfachem Leid führt: Denn jede vierte Frau in Entwicklungsländern kann nicht verhüten, obwohl sie das gerne möchte. Weltweit sind das derzeit 225 Millionen Frauen. Jedes Jahr kommt es zu 74 Millionen ungewollten Schwangerschaften. Daraus resultieren 28 Mio. ungewollte Geburten, 36 Mio. - oft lebensbedrohliche - Abtreibungen und 10 Mio. Fehlgeburten.  Zum Vergleich: Die Weltbevölkerung wächst derzeit jährlich immer noch um etwa 80 Millionen Menschen. Allerdings nimmt die Rate dieses Wachstums stetig ab.

Zweitens zeigt sich, dass über reine sexuelle Aufklärung hinaus die Ausbildung und Stärkung von Mädchen und jungen Frauen zentral ist, wenn es um eine Senkung der Geburtenraten geht, die menschenrechtlich nicht nur unbedenklich ist, sondern Mädchen und Frauen neue Freiräume verschafft. Denn weltweit werden 40.000 Mädchen jeden Tag verheiratet. 20.000 Mädchen in Entwicklungsländern bekommen ein Kind bevor sie volljährig sind. Fast alle diese Schwangerschaften sind ungewollt. In neun von zehn Fällen sind die Mädchen bereits verheiratet. 70.000 Mädchen sterben pro Jahr an Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt, weil ihre Körper noch nicht voll entwickelt sind. Solche brutalen Zusammenhänge lassen sich nur durch die systematische Stärkung von Frauen und Mädchen brechen.

Ein weiterer zentraler Aspekt dieses Zusammenhangs ist die Schulbildung von Frauen und Mädchen. Viele Studien haben gezeigt, dass Frauen umso weniger Kinder bekommen, je besser sie ausgebildet sind. Dabei spielen zwei Faktoren die Hauptrolle: Besonders Mädchen, die eine höhere Schulbildung genossen haben, gehen später und selbstbewusster in die Ehe. Außerdem sind diese wesentlich häufiger auch sexuell aufgeklärt.

Fazit: Wer die Rechte und die Gesundheit von Mädchen und Frauen respektiert, braucht sich um die Bevölkerungsentwicklung keine Sorgen zu machen.

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